«Führungsrollen in der Wissenschaft erfordern besondere Kompetenzen»
Workstream 3 des Projekts rETHink untersucht, wie Professorinnen und Professoren in ihren vielf?ltigen Rollen besser unterst¨¹tzt werden k?nnen. Welche Meilensteine sie bereits erreicht haben, erkl?ren die operativen Workstream-Leitenden Paola Picotti und Edoardo Mazza im Interview.
Im Workstream 3 geht es um die Begleitung von Professorinnen und Professoren. Welche konkreten Themen behandelt die Arbeitsgruppe?
Edoardo Mazza: Wir konzentrieren uns im Wesentlichen auf drei Themen: Beim ersten geht es darum, Professorinnen und Professoren in ihrer F¨¹hrungsrolle zu unterst¨¹tzen. Zweitens betrachten wir die verschiedenen Phasen w?hrend der Amtszeit von Professorinnen und Professoren. Wir entwickeln Instrumente, um beispielsweise die Prozesse rund um die Berufung, Bef?rderung oder Emeritierung zu verbessern. Auch Themen wie Arbeitsbelastung oder die Gleichbehandlung von Geschlechtern innerhalb der Professorenschaft oder die Evaluation der Professorinnen und Professoren geh?ren dazu. Das dritte Thema ist die Konfliktpr?vention und der Umgang mit Konfliktsituationen. Hier geben wir als Soundingboard Feedback zu neuen Prozessen und Unterst¨¹tzungsangeboten, die der Bereich VPPL entwickelt.
Im Zentrum stehen also in erster Linie Herausforderungen und Bed¨¹rfnisse der Professorinnen und Professoren. Wie setzt sich die Arbeitsgruppe zusammen? Besteht sie ausschliesslich aus Mitgliedern der Professorenschaft?
Paola Picotti: Nein, wir sind eine gemischte Gruppe. Neben Professorinnen und Professoren arbeiten auch Vertreterinnen und Vertreter der Zentralen Organe und des akademischen Mittelbaus sowie Studierende mit. Auch Fachleute aus den Bereichen Personalentwicklung, Faculty Services und Konfliktmanagement sowie dem Stab Professuren geh?ren dazu. Nat¨¹rlich k?nnen wir als Professorinnen und Professoren aus eigener Erfahrung berichten, wo Optimierungspotenzial besteht: Wir wissen, was gut und nicht so gut l?uft und welche L?sungsans?tze unsere Kolleginnen und Kollegen n¨¹tzlich finden k?nnten. Genauso wichtig ist aber die Perspektive der anderen St?nde. Wir brauchen die Aussenperspektive von Personen, die Professorinnen und Professoren in ihrer Arbeit unterst¨¹tzen, aber auch von deren Verhalten betroffen sind. Diese unterschiedlichen Gruppen arbeiten sehr gut zusammen. Wir lernen viel voneinander und profitieren von den verschiedenen Sichtweisen. Alle sind ?usserst motiviert und engagiert.
Die Themen von Workstream 3 sind eng verkn¨¹pft mit dem Bereich der Vizepr?sidentin f¨¹r Personalentwicklung und Leadership sowie dem Stab Professuren. Wie fliessen da Ihre Erkenntnisse aus dem rETHink-Workstream ein?
Edoardo Mazza: Der ?bergang zwischen Workstream 3 und der Organisation ist fliessend. Wir bearbeiten unsere Themen in Arbeitsgruppen, denen jeweils ein bis zwei Fachleute aus dem VPPL-Bereich oder dem Stab Professuren angeh?ren. So fliesst das Wissen in beide Richtungen. Vizepr?sidentin Julia Dannath geh?rt zum Kernteam. Dort kann sie ihr Fachwissen direkt einbringen und lernt gleichzeitig aus unseren Gespr?chen die Besonderheiten unserer Community kennen. Auch Jo?l Mesot hat bei gewissen Themen an den Diskussionen teilgenommen und Feedback zu unseren Ideen gegeben. Sehr wichtig ist auch die Zusammenarbeit mit anderen rETHink-Workstreams. Vor allem mit den Kolleginnen und Kollegen von Workstream 2 haben wir uns mehrfach sehr produktiv ausgetauscht. Bei einigen Themen haben wir verschiedene Feedbackgruppen einbezogen und danach der Schulleitung bereits konkrete Ergebnisse vorgelegt. Als n?chstes gehen unsere Vorschl?ge in die Organisation, wo sie f¨¹r die konkrete Umsetzung weiter ausgearbeitet werden. Gerade bei schwierigen Themen wird es mehrere Bearbeitungsrunden brauchen. In diesen F?llen steht Workstream 3 weiterhin als Soundingboard zur Verf¨¹gung.
Das Thema ?Professorinnen und Professoren als F¨¹hrungskr?fte? wurde bereits an die Personal- und Organisationsentwicklung ¨¹bergeben. Welche L?sungsans?tze werden hier weiterverfolgt?
Edoardo Mazza: Aus Gespr?chen mit Kolleginnen und Kollegen haben wir zahlreiche Anregungen erhalten. Wir haben versucht, die Angebote herauszufiltern, die in den verschiedenen Phasen der Amtszeit n¨¹tzlich sein k?nnen und gleichzeitig zum engen Zeitplan der Professorenschaft passen. Im Rahmen des Programms ?Leadership4faculty¡° werden zum Beispiel k¨¹nftig Themen wie die Auswahl, Betreuung und F?rderung von Nachwuchswissenschaftlern aufgegriffen. Die aktive Teilnahme und Beteiligung an Veranstaltungen zum Thema F¨¹hrung haben im letzten Jahr zugenommen, was zeigt, dass das Thema bei Professorinnen und Professoren einen hohen Stellenwert hat. Ausserdem finden wir es wichtig, den direkten Erfahrungsaustausch unter Professorinnen und Professoren zu f?rdern, um sie in ihrer F¨¹hrungsrolle zu unterst¨¹tzen ¨C beispielsweise ¨¹ber departements¨¹bergreifende ?Peer-to-peer Lunches? oder virtuelle Foren. Wir haben dar¨¹ber hinaus angeregt, dass der Faktor F¨¹hrungskompetenz bei der Einstellung neuer Professorinnen und Professoren oder bei der Bef?rderung von Assistenzprofessorinnen und Assistenzprofessoren st?rker ber¨¹cksichtigt wird. Auch das Mentoring von Assistenzprofessorinnen und -professoren kam immer wieder zur Sprache. Hier haben wir konkrete Vorschl?ge f¨¹r ein Konzept vorgelegt, wie diese jungen Kolleginnen und Kollegen, die in eine neue Rolle hineinwachsen, besser unterst¨¹tzt, gef?rdert und evaluiert werden k?nnen.
Und wie sieht es beim Thema Arbeitsbelastung aus?
Paola Picotti: Die letzte Mitarbeitendenbefragung unter Professorinnen und Professoren sowie Interviews im Rahmen von rETHink haben gezeigt, dass die Arbeitsbelastung immer mehr als Problem wahrgenommen wird. Viele Professorinnen und Professoren widmen der ETH Z¨¹rich und den damit verbundenen Organen wie Kommissionen oder Arbeitsgruppen auf freiwilliger Basis viel Zeit. Wir m¨¹ssen unbedingt darauf achten, dass wir sie mit derartigen Aufgaben nicht ¨¹berlasten. Professorinnen und Professoren m¨¹ssen genug Zeit haben, um zu forschen, zu lehren, ihre Gruppen zu betreuen und sich mit neuen intellektuellen Themen auseinanderzusetzen. Zudem scheinen diese Zusatzaufgaben in manchen Ó¢»ÊÓéÀÖn recht ungleichm?ssig verteilt zu sein.
Was w?re hier Ihr L?sungsansatz?
Paola Picotti: Wir haben die Empfehlung ausgearbeitet, dass die ?bernahme, der Zeitaufwand sowie die Verteilung von Zusatzaufgaben transparent gemacht werden muss. Diese Informationen sollen in die Annual Academic Achievements (AAA) einfliessen und den Departementsvorsteherinnen und -vorstehern kommuniziert werden. Zweitens schlagen wir vor, dass die Professorinnen und Professoren, die besonders aufwendige oder herausfordernde Zusatzaufgaben ¨¹bernommen haben, einen ?Service Break? einlegen k?nnen, um ihre k¨¹nftige Forschungsrichtung zu planen, ihre Lehrt?tigkeit wieder verst?rkt aufzunehmen und sich auf die Begleitung ihrer Gruppen zu konzentrieren. Parallel dazu haben wir auch Vorschl?ge gemacht, wie wir Professorinnen und Professoren bei Aufgabendelegierung und Zeitmanagement unterst¨¹tzen k?nnen. Unsere Institution muss sich bewusst sein, wie stark die Professorenschaft ausgelastet ist. Und dieser Aspekt muss ber¨¹cksichtigt werden, wenn neue Aufgaben, wie zum Beispiel neue Aussch¨¹sse, eingef¨¹hrt werden sollen.
Sowohl beim Thema F¨¹hrung als auch beim Thema Arbeitsbelastung schl?gt Workstream 3 vor, das Kursangebot f¨¹r die Professorenschaft zu erweitern. Ist es realistisch, dass diese trotz ihrer hohen Auslastung davon Gebrauch macht?
Edoardo Mazza: Ja, das ist ein allgegenw?rtiges Thema in unseren Diskussionen. Im Prinzip ist das immer eine Frage des Return on Investment: Wenn die Kurse uns bei unseren Hauptaufgaben ¨C Lehre und Forschung ¨C weiterbringen, dann werden sie auch besucht werden. In unserer Analysephase haben wir in der gesamten ETH abgefragt, wo Mankos bestehen und wo mehr Unterst¨¹tzung angebracht w?re. Ausserdem haben wir auf eine modulare, flexible Struktur geachtet, sodass man die Angebote auch bei besonders knappen Zeitressourcen in Anspruch nehmen kann. Wir sind deshalb zuversichtlich, dass die Angebote auf Anklang stossen werden.
Es gibt bereits zahlreiche F¨¹hrungs- oder Zeitmanagement-Seminare auf dem Markt. Warum m¨¹ssen f¨¹r die ETH-Professorenschaft eigene Programme entwickelt werden?
Paola Picotti: Wissenschaft und Wirtschaft funktionieren unterschiedlich ¨C es ist ganz wichtig, dass man sich dessen bewusst ist: Eine Forschungsgruppe in einem akademischen Umfeld zu leiten, erfordert andere Kompetenzen, als ein Team in der Industrie zu f¨¹hren. Wir haben im Workstream 3 viel Zeit aufgewendet, um genau diese Unterschiede herauszuarbeiten, bevor wir uns an die Entwicklung neuer Instrumente zur Unterst¨¹tzung von Professorinnen und Professoren gemacht haben. Dabei haben wir erkannt, dass die Inhalte solcher Tools genau auf die Herausforderungen der Professorenschaft eingehen m¨¹ssen.
K?nnen Sie ein Beispiel nennen, wo sich die Professorenrolle von einer ?hnlichen F¨¹hrungsposition in der Industrie unterscheidet?
Paola Picotti: Als Professorinnen und Professoren sind wir nicht einfach die Vorgesetzten unserer Teammitglieder; wir fungieren in erster Linie als Beraterinnen- und Berater sowie Mentorinnen und Mentoren. Das unterscheidet unsere Rolle deutlich von F¨¹hrungskr?ften in der Privatwirtschaft. Unser Nachwuchs muss lernen, wie Forschung konzipiert wird. Dies erfordert viel Eigenverantwortung. Zudem sind die Arbeiten, die wir betreuen, oftmals von Natur aus sehr individualistisch, d.h. Forschungsprojekte, die von einzelnen Doktorierenden im Rahmen einer Doktorarbeit durchgef¨¹hrt werden. Dennoch muss diese Arbeit in einem Team gemacht werden, in dem man sich gegenseitig unterst¨¹tzt. Das ist eine grosse Herausforderung. Auch der st?ndige Wechsel in Forschungsteams ist typisch f¨¹r das akademische Umfeld. Doktorierende und Post-Docs bleiben immer nur f¨¹r eine befristete Zeit in der Gruppe. Professorinnen und Professoren m¨¹ssen daf¨¹r sorgen, dass das Wissen trotz des st?ndigen Kommens und Gehens im Team bleibt. Das sind nur einige Beispiele aus einer langen Liste an Besonderheiten, die wir identifiziert haben.
Ein weiterer Unterschied zur Wirtschaftswelt ist, dass die ETH stark ?bottom-up? und demokratisch funktioniert. Wie werden die Professorinnen und Professoren, die nicht zum Workstream 3 geh?ren, zu den Ideen Stellung nehmen k?nnen?
Edoardo Mazza: Die ETH legt viel Wert auf Partizipation. Wie bereits erw?hnt, haben wir w?hrend der Entwicklung unserer L?sungsvorschl?ge viele verschiedene Meinungen ausserhalb des Workstreams eingeholt. Auch f¨¹r ihre konkrete Umsetzung ist uns der Input unserer Kolleginnen und Kollegen sehr wichtig. Bei einigen Themen werden wir bestimmte Organe wie die DVK ,die KdL, den AVETH oder die HV zurate ziehen. Und bestimmte L?sungsans?tze werden eine Vernehmlassung ben?tigen.
Workstream 3 setzt seine Arbeit auch n?chstes Jahr fort. Wie sieht der Fahrplan aus?
Paola Picotti: Zurzeit stehen bei uns zwei grosse Themenbl?cke im Fokus. Zum einen das Konfliktmanagement: Derzeit geben wir Feedback zu einem Programm aus dem VPPL-Bereich, das auf Pr?vention und Intervention ausgerichtet ist und Module in verschiedenen Formaten und Vertiefungen umfasst sowohl f¨¹r Professorinnen und Professoren wie auch f¨¹r ETH-Mitarbeitende. N?chstes Jahr wird sich der VPPL Bereich dem Beschwerdeverfahren widmen inklusive der Fr¨¹herkennung kritischer Situationen. Bei diesen sensiblen Themen fungieren wir als Soundingboard.
Und der zweite Themenblock?
Edoardo Mazza: Der besch?ftigt sich mit der Evaluation von Professorinnen und Professoren. Der ETH Rat m?chte, dass basierend auf dem entsprechenden Artikel der Professorenverordnung ein gesamtheitliches Konzept zur Evaluation von Professorinnen und Professoren entwickelt wird. Entsprechend haben wir von der Schulleitung den Auftrag erhalten, an einer Erweiterung der Evaluation zu arbeiten. Unser Anspruch ist es, dass Evaluationen m?glichst effizient und hilfreich f¨¹r alle Beteiligten sind. Unserer Analyse zufolge verf¨¹gen wir bereits ¨¹ber eine umfangreiche Datensammlung zur Leistung unserer Professorenschaft in Forschung und Lehre und, wenn auch in geringerem Masse, zum Technologietransfer. Jetzt widmen wir uns ausf¨¹hrlicher der Frage, wie Professorinnen und Professoren n¨¹tzliches Feedback zu ihrer F¨¹hrungskompetenz erhalten k?nnen. Uns ist nat¨¹rlich sehr bewusst, wie wichtig und gleichzeitig sensibel das Thema ist. Daher werden wir verschiedene ETH-Aussch¨¹sse einbeziehen und die Ansichten aller Betroffenen ber¨¹cksichtigen.